Kategorie Mobilität - 14. Oktober 2025

Der Parcours, der Radfahren für alle sicherer macht

Ein Forschungsprojekt untersucht, wie Radfahren in jedem Alter sicherer gestaltet werden kann. Es wird aus den Einnahmen von Wunschkennzeichen finanziert

Es ist alles dabei: vom selbstbewussten Draufgänger, der auf ein Kommando hin einen Stoppie hinlegt – also so abrupt bremst, dass sich das Hinterrad seines Fahrrads vom Boden hebt –, bis zum Kind, das lediglich die Füße von den Pedalen nimmt und mit den Schuhen über den Asphalt schrammt, um langsamer zu werden. Die Gefahrenbremsung auf Pfiff ist nur eine von mehreren Stationen, die Radlerinnen und Radler aller Altersgruppen im Rahmen zweier Veranstaltungen für ein interdisziplinäres Forschungsprojekt absolvierten.

Der erste Parcours wurde im Sommer in Rust im Burgenland aufgebaut – mit Teilnehmerinnen und Teilnehmern bis ins hohe Alter von 90 Jahren. Der zweite Messlauf fand an einer Schule in Wien-Strebersdorf statt. Und so unterschiedlich wie die Menschen, die mitmachten, waren auch die Wetterbedingungen.

Im Alter von sechs bis 90 Jahren haben Personen den SARA-Parcours durchfahren, um den Forschenden Daten für sichereren Radverkehr zu generieren. © Sicher unterwegs / Alek Kawka

Während es in Rust heiß, trocken und windig war, herrschte in Wien kurz nach Schulbeginn das genaue Gegenteil. Doch der leichte Regen störte die Schülerinnen und Schüler nicht – und für das Forschungsprojekt Sicher am Rad in jedem Alter (SARA) war das sogar ein Vorteil. Schließlich liefert das Fahren unter verschiedenen Bedingungen besonders aussagekräftige Daten.

Das Forschungsteam – bestehend aus Sozialwissenschafterinnen, Verkehrspsychologen, Verkehrspädagoginnen, aber auch -technikern und -planern von Sicher unterwegs, dem AIT Austrian Institute of Technology, der Universität für Bodenkultur (BOKU) Wien sowie der TU Wien – will insgesamt rund 300 Datensätze sammeln.

„Wir möchten herausfinden, wie sich die Stärken- und Schwächenprofile von Radfahrenden altersabhängig unterscheiden“, fasst Verkehrspsychologin und SARA-Projektleiterin Bettina Schützhofer von Sicher unterwegs zusammen. Ziel sei es, auf dieser Grundlage Empfehlungen zu entwickeln, die das Radfahren sicherer machen – sei es durch infrastrukturelle oder pädagogische Maßnahmen.

Der Sinn der Wunschkennzeichen

Finanziert wird das Projekt SARA vom Österreichischen Verkehrssicherheitsfonds, der sich aus den Einnahmen der Wunschkennzeichen speist. Dieses Geld ist zweckgebunden – es fließt ausschließlich in Maßnahmen zur Verbesserung der Verkehrssicherheit. Das Thema der jüngsten Ausschreibung lautete Radverkehrssicherheit, und mit seinem interdisziplinären Forschungsansatz konnte das SARA-Team den Zuschlag für sich gewinnen.

 

Mit diesem Untersuchungsaufbau, „kann es sein, dass wir herausfinden, dass die Probleme unabhängig vom Alter immer die gleichen sind. Oder vielleicht kommt heraus, dass man in der Volksschule vor allem das Linksabbiegen üben muss, während bei Älteren die Gefahrenbremsung die Schwachstelle ist“, erklärt Schützhofer. Mit so einer Erkenntnis könnte man mehr erreichen, als generell vorzuschlagen, Radtrainings anzubieten. „Für Radtrainings muss man Zeit investieren“, sagt die Verkehrspsychologin. Das schrecke manche ab. Kommt das Forschungsteam aber darauf, dass es vor allem um zwei oder drei Tipps geht, die vermittelt werden müssen, um die Verkehrssicherheit zu erhöhen, könnte man in kurzer Zeit viel mehr Menschen erreichen.

„Dann könnte man einen Folder machen, den man bei Radshops, Radverleihen oder Reparaturgeschäften auflegt. Oder einen QR-Code verteilen, über den man zu einem Video kommt, das zeigt, wie man etwas Spezielles richtig macht. So hätten wir einen großen Impact mit wenig Aufwand.“ Zusätzlich ließen sich so auch Empfehlungen für die Radausbildung für Kinder und die Radfahrprüfung in der Volksschule ableiten. Um diese umfangreiche Anforderung überhaupt abdecken zu können, hat der Parcours unterschiedliche Aufgabenstellungen.

Die Tücken im Straßenverkehr

Schon wenige Meter nach dem Startpunkt wartet die erste Herausforderung: eine Stopptafel, davor eine deutlich markierte Haltelinie. „Es beginnt mit dem Zielbremsen – also der Frage: Wie gut gelingt es, punktgenau an einer Linie anzuhalten?“, erklärt Projektleiterin Bettina Schützhofer. „Denn wer sicher im Straßenverkehr unterwegs sein will, muss Geschwindigkeit und Bremsmanöver richtig einschätzen können.“

Kurz darauf folgt die nächste Übung: eine Kreuzung, an der man dem Querverkehr Vorrang gewähren muss. Die Aufgabe besteht darin, kontrolliert langsam zu fahren und dabei zugleich den Überblick über die gesamte Verkehrssituation zu behalten – eine Fähigkeit, die im Alltag oft unterschätzt wird.

Bettina Schützhofer im Gespräch mit den Teilnehmerinnen und Teilnehmern in Rust. © Sicher unterwegs / Alek Kawka

Der Parcours führt anschließend in eine etwas schmälere Gasse, deren Ränder klar markiert sind. Dort gilt es zunächst auf der einen, dann auf der anderen Seite ein deutliches Handzeichen zu geben. Wer dabei Schwierigkeiten hat, mit nur einer Hand ruhig und kontrolliert zu fahren, fällt den Expertinnen und Experten sofort auf – etwa daran, dass die Person die Spur nicht halten kann. Danach steht ein scharfer Linksbogen auf dem Programm. Während des Abbiegevorgangs sollen die Teilnehmenden den Blick weit zurückrichten und eine Zahl auf einer Tafel ablesen – und laut nennen. „Hier geht es darum, wie gut die Probandinnen und Probanden tangential abbiegen und gleichzeitig die Infrastruktur wahrnehmen können“, erklärt Schützhofer. Aus dieser Übung kann abgeleitet werden, welche Straßenführung und Gestaltung ein sicheres Abbiegen besonders unterstützt – ein wichtiger Hinweis für Verkehrsplanung und Infrastrukturdesign.

Es folgt ein enger Slalom und die Gefahrenbremsung, bevor eine der spannendsten Übungen den Parcours beschließt: Ein Abschnitt, in dem die Probandinnen und Probanden genau zehn km/h schnell fahren sollen. „Das ist die maximale Geschwindigkeit, mit der sich Radfahrende einer ungeregelten Radfahrerüberfahrt nähern dürfen. Wir wollen wissen, wie gut können Radlerinnen und Radler die zehn km/h abschätzen“, erklärt Schützhofer. „Auch deswegen, weil es da immer wieder Konflikte mit Zufußgehenden gibt.“ Der eine Bestwert bei dieser Übung wurde in Rust aufgestellt, der andere von einem Schüler in Wien.

Auch die Daten von Kindern fließen in die Untersuchungen ein. © Sicher unterwegs / Alek Kawka

Nicht alle nehmen die Versuche gleich ernst

In Rust hat eine Teilnehmerin die zehn km/h Durchschnittsgeschwindigkeit bis auf ein Zehntel-km/h genau getroffen – der Schüler in Rust den doppelten Wert nur ums gleiche Alzerl versäumt. Denn ja, auch diese Versuchsanordnung nehmen nicht alle gleich ernst. Wie die Regeln im Straßenverkehr. Aber auch ohne die Extrembeispiele ist schon mitten in der Versuchsanordnung klar: „Ohne Tachometer haben viele Menschen Probleme, die Geschwindigkeit gut abzuschätzen“, sagt Michael Aleksa vom AIT.

Das AIT ist für eine Reihe von Messungen beim Projekt zuständig, hat dafür die Fahrräder mit Sensoren ausgestattet und filmt den ganzen Parcours. Bei einigen Personen hat zudem die Boku medizinische Daten erhoben, um etwa das Stresslevel ablesen zu können. Die Erfassung erfolgt „datenschutzkonform“, betont Aleksa. Die Aufnahmen dienen lediglich dazu, „sie mit den Daten des Messfahrrads abzugleichen.“ Und diese Daten werden vom Forschungsteam dann noch einmal abgeglichen; nämlich mit den Ergebnissen der Fragebögen, welche die Teilnehmerinnen und Teilnehmer vor und nach der Fahrt ausfüllen. Geht es vor der Fahrt um die Selbsteinschätzung und die Verkehrsvorgeschichte, wird danach abgefragt, ob sich daran etwas verändert hat.

Ohne Ergebnisse vorwegnehmen zu wollen, beobachten die Forschenden, dass es einen Unterschied zwischen subjektiver Selbsteinschätzung und objektiven Messdaten gibt. Und dieser ist nach Geschlechtern noch einmal anders. Die endgültigen Ergebnisse und Handlungsempfehlungen werden voraussichtlich im Herbst 2026 in einer Fachpublikation, die dann auch über die Website des Verkehrsministeriums abrufbar sein wird, veröffentlicht.

Guido Gluschitsch, Der Standard